Max Planck in Rogätz
Max Planck in Rogätz
Unscheinbar mit blauem Koffer
Von Margitta Häusler.
Als vor 60 Jahren der Krieg zu Ende geht, halten sich im Gau Magdeburg-Anhalt über 370.000 Evakuierte auf. Darunter ein großer deutscher Physiker: Nobelpreisträger Max Planck. In Berlin vom Bombardement bedroht, finden er und seine Frau eine Bleibe auf dem Rittergut in Rogätz. In dem Elbedorf – 20 Kilometer nördlich von Magdeburg – verbringen die Plancks über anderthalb Jahre. Bis sie am 16. Mai 1945 überstürzt ihre
Sachen packen.
Das Haus Still, die Wissenschaft und die Plancks
Hoch über der Elbe – auf einem Steilhang - thront das Herrenhaus von Rogätz. Es bildet mit dem nebenstehenden uralten Wohnturm aus Findlingsquadern das Wahrzeichen des heute 2.300 Einwohner zählenden Dorfes. Dorthin kommen Max und Marga Planck am 27. Oktober 1943. Sie sind nicht zum ersten Mal zu Gast auf dem Rittergut ihres Freundes, des Unternehmers Dr. Carl Still aus Recklinghausen (Foto). Diesmal jedoch kommt der 85jährige Max Planck aus Berlin nicht zur Erholung. Er flieht vor den Bombenangriffen, weiß der damals 18jährige Verwaltersohn Hans Knoll: „Planck war so unscheinbar. Mit Kleidung war er recht spärlich bestückt. Planck war völlig unscheinbar. Wir haben den eher als Landstreicher an-gesehen, so hat der sich hier gegeben.“
Kaum jemand im Dorf kennt Max Planck, der Sachen trägt, die offensichtlich aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen. Dass auf dem Gut auswärtiger Besuch ist, scheint nicht ungewöhnlich zu sein. Stills laden ihre Freunde, darunter viele berühmte Wissenschaftler, regelmäßig zu sich ein, gehen mit ihnen auch auf die Jagd. Das Gästebuch könnte darüber Auskunft geben, wenn es in den Kriegswirren nicht verschwunden wäre.
„Das Haus Still“ wird in behaglich, bürgerlicher Atmosphäre geführt. Ob in Recklinghausen oder in Rogätz, jeder Gast wird umsorgt. Anzunehmen ist, dass viele Wissenschaftler auch zur Sommerfrische in Rogätz waren. So ist überliefert, dass Marston Morse aus Princeton (USA) zur Freude der ganzen Hausgemeinschaft auf der Orgel gespielt hat.
Enkel Carlo Still erzählt bei einem Besuch in Rogätz im November 2011, dass auch Albert Einstein auf dem Gut geweilt haben soll. In Recklinghausen sind vornehmlich die Göttinger Mathematikprofessoren regelmäßig zu Gast und auch Physiker wie Max Born und James Franck. Da sie über die Molekularbewegung der Gase und die Wärmeausstrahlung vortragen, interessiert sich Carl Still als Unternehmer und Kokereianlagenbauer dafür. Natürlich sind auch Max und Marga Planck bei Stills zu Gast, zum Beispiel 1938, als Planck in Essen im Haus der Technik vorträgt.
(Foto: Planck in Rogätz)
Ab Kriegsbeginn treffen sich die Stills mit den Vertretern von Mathematik und Physik in Rogätz. Das ist anhand der Korrespondenz überliefert. Eine Mappe mit vergilbten Papieren beginnt mit einem Brief vom 22. Oktober 1942. Carl Still schreibt an Max Planck und es wird klar, dass in den drei vorher gehenden Jahren die Plancks ebenfalls in Rogätz waren.
Von Erholung nach einer langen Vortragsreise im Ausland ist die Rede. Mit einem der Personenzüge von Berlin nach Stendal und dann nach Magdeburg gelangen die Plancks relativ bequem in das Dorf an der Elbe. Vom Bahnhof Angern-Rogätz werden sie mit der Kutsche abgeholt. Anfang Januar 1943 wird die bevorstehende Ankunft der Plancks in Rogätz erneut besprochen. Carl Still selbst will auch aufs Rittergut kommen. Er schreibt, dass er dann aber keinesfalls den Gelehrten mit seinem Manuskript zur Thermodynamik belästigen möchte, obwohl es für seine eigene berufliche Arbeit von erheblicher Wichtigkeit wäre. Das möge für Planck aber keine Rolle spielen. Im übrigen wäre er ebenso glücklich, wenn er gelegentlich mit Planck über allgemeine religiöse, politische oder philosophische Fragen sprechen könnte. Als die Plancks Ende Oktober gänzlich nach Rogätz umziehen, bekommen sie dort Besuch von Max von Laue, ebenfalls Physiker, Nobelpreisträger und Nachfolger Plancks als Direktor der Berliner Universität.
(Foto: Marga Planck auf dem Gestüt in Rogätz)
Christa Braumann geborene Stempel, die damals im „Schloss“ arbeitet und gemeinsam mit Plancks zu Mittag isst, erinnert sich, dass der alte Mann ruhig sitzen blieb, als eines Tages Fliegeralarm war. „Erst esse ich auf!“ hatte Planck gesagt. Familie Still und ihre Angestellten unternehmen alles Mögliche, um den Plancks das Leben zu erleichtern. Es wird diskutiert und musiziert. Flügel und Harmonium soll der mit dem absoluten Gehör begabte Planck eifrig benutzt haben. Vorzugsweise spielt er Schubert und Brahms, seine Lieblingskomponisten. Stills beantragen Ende 1943 eine Betriebsverlegung auf das Gut Rogätz. Das Konstruktionsbüro soll von Recklinghausen umziehen, aber der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion lehnt ab. In einer Stellungnahme des Beauftragten für Quartier- und Ausweichraum beim Reichsverteidigungskommissar vom 21. 4. 1944 heißt es: ... da sämtliche Räume im Gutshaus und in den Nebenräumen zur Unterbringung Bombengeschädigter, oder vorsorglich evakuierter Familien, sichergestellt sind. Soweit die vorhandenen Büroräume im Gutshaus in Anspruch genommen werden, habe ich Bedenken nicht zu erheben.“ Inzwischen ist Plancks Sohn Erwin nach dem Attentat auf Hitler verhaftet und angeklagt worden. Die Stills leiden mit den Plancks. Bis in den Herbst 1944 bleiben Stills in Rogätz, dann muss Carl Still in Recklinghausen nach seinem Betrieb sehen, obwohl er auch schon 75 Jahre alt ist. Ihn erreicht dort im Februar 1945 ein ergreifender Brief. In dem berichtet Marga Planck von der Zerstörung ihres Hauses in Berlin und dankt Karl Friedrich Still für die Mitnahme dorthin. Der Sohn des Freundes reist in dieser Zeit öfter nach Rogätz, um nach dem Gut und nach den Plancks zu schauen.
Spaziergänger mit schiefgelaufenen Schuhen
Chronist Fritz Schulze berichtet, dass Planck von den Leuten im Dorf trotz seiner etwas seltsamen Kleidung sehr geschätzt wird, besonders von jenen Zeitgenossen, die engeren Umgang mit dem aufgeschlossenen Mann pflegen. Sie schildern ihn als lauteren Menschen mit klugem Blick. Spricht Planck, dann ist umgehend sein Äußeres vergessen. Es sind stille Tage, die der Professor und Geheimrat in Rogätz verlebt. Während Marga
Planck kaum das Haus verlässt, wird ihr kleiner, hagerer Mann öfter im Dorf gesehen, zum Beispiel bei seinem Gang zu Friseur Albert Giesecke, den er aller zwei Tage aufsucht. Planck – schreibt Schulze – hat in dem gleichaltrigen Veteran einen lieb gewordenen, verständnisvollen Gesprächspartner gefunden. Andere sehen den älteren Herrn beim Postholen. Zum Beispiel Lisa Wipprich: „Ja, ich habe ihn gesehen, wenn er seine Post holte. Die Post befand sich damals in der Nähe des jetzigen Friedensplatzes, und auf dem Rückweg saß er dann auf dem Steintritt des Hauses von Dr. Teschner, dem damaligen Tierarzt. Planck ruhte sich dort aus, vielleicht hat er auch mit Teschner erzählt. Die Bedeutung des Max Planck kannte man zu damaliger Zeit nicht.“
Überliefert durch Fritz Schulze ist auch folgende Episode: Der Briefträger rief Planck einmal zu: „He, junger Mann! Ich habe Post für Sie.“ Darauf entgegnet Planck lächelnd: „Das freut mich und ich danke Ihnen. Aber dass Sie mich als jungen Mann ansprechen, ehrt mich besonders, denn
so bin ich schon lange nicht mehr angeredet worden.“ Bei seinen Spaziergängen wird Planck auch in der Seilerstraße gesichtet. Der damals zwölf Jahre alte Rolf Steffens beobachtet am Fenster seines Elternhauses, wie sein Vater Bruno über die Straße geht und mit dem kleinen alten Mann ein Schwätzchen hält. Dabei sitzt dieser auf der Friedhofsmauer und lässt die Beine baumeln, an den Füßen trägt er völlig
schief gelaufene Schuhe. Eine schwere Arthrose macht Planck zu schaffen. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb verschafft sich Planck täglich Bewegung. Dazu geht er auch viel durch den Park am Rittergut. Dort beobachtet ihn Rolf Krüger. Er spielt mit dem Sohn des Gutsbesitzers, Karl Friedel (Friedrich) Still, am Lindencorso, einer Baumgruppe gleich am Eingang zum Park.
„Ich bin wohl aus der Art geschlagen“
Kaum jemand hat eine Ahnung von Max Plancks großartiger Leistung, geschweige denn weiß man im Dorf etwas vom Strahlungsgesetz und der Quantentheorie, welche Grundlage wurden für ein völlig neues Gebiet in der Physik und Ausgangspunkt für Einsteins Entdeckungen. Dass Planck überhaupt Physiker wird, ist ihm bei seiner Geburt am 23. April 1858 in Kiel nicht in die Wiege gelegt. Seine Ahnen, die aus Schwaben stammten, waren vornehmlich Theologen, Philologen und Rechtswissenschaftler. „Ich bin wohl der einzige, der aus der Art geschlagen ist“, sagt Planck einmal. Sein Vater Johann Julius Wilhelm Planck war Professor der Jurisprudenz.
Als dieser 1867 an die Universität München gerufen wird, besucht sein Sohn dort das Maximiliangymnasium in Schwabing. Beim Abitur 1874 erhält Planck in allen Fächern die Note „Zwei“ und das Zeugnis besagt: „Verspricht etwas Rechtes.“ Damit allerdings kann er nicht in die Höchstbegabtenstiftung des Maximilianeums aufgenommen werden. Zunächst weiß Planck nicht, soll er Musiker oder Wissenschaftler werden. Dass er sich für Letzteres entscheidet, daran hat sein Mathematiklehrer Hermann Müller wesentlichen Anteil. Dieser ist ein strenger Mann, wie Planck sagt, aber einer, der seine Schüler mitreißt bei allem, was Mathematik und Naturwissenschaft betrifft. Planck ist beseelt von der „Harmonie zwischen der Strenge der Mathematik und andererseits ... der Fülle der Naturgesetze, die uns umgeben“. So studiert Planck an den Universitäten München und Berlin theoretische Physik und promoviert am 28. Juni 1879 mit seiner Arbeit über den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie. Anschließend habilitiert er sich mit einer Abhandlung über thermodynamische Gleichgewichtszustände isotroper Körper. Weil aber an den deutschen Hochschulen kaum Lehrstühle für theoretische Physik existieren, muss Planck länger als ihm lieb ist in München bleiben. „Theoretische Physik ist ja ein ganz schönes Fach“, sagt ihm zum Abschied sein hochverehrter Dozent von Jolly, „aber grundsätzlich Neues werden Sie da nicht entdecken.“
Davon aber lässt sich Planck nicht beirren. Er will den Naturgesetzen nachforschen. 1885 beruft ihn die Christian-Albrechts Universität in Kiel zum außerordentlichen Professor. Planck dazu, „... wenn ich auch im Elternhaus das denkbar schönste und behaglichste Leben führte, so war der Drang nach Selbständigkeit doch immer stärker in mir geworden.“
In der Geburtsstadt findet er seine große Liebe Marie Merck und heiratet sie am 31. März 1878. Sie schenkt im vier Kinder, zwei Jungen – Karl und Erwin – und zwei Mädchen, Grete und Emma. Letztere sind Zwillinge.
Weil jedoch das Zentrum der physikalischen Forschung in jener Zeit Berlin ist, zieht es Planck dorthin. 1889 nimmt er seine Arbeit an der Spree auf und leitet das neu gegründete Institut für Theoretische Physik. Vier Jahre später wird Planck zum ordentlichen Professor ernannt. Und so bin ich, sagt er im Hörfunk, „eigentlich ein alter Berliner. Aber so richtig alte Berliner gibt es eigentlich gar nicht, die hier geboren sind. Das geht ja alles in den akademischen Kreisen hin und her. Da kommt man von einer Universität zur anderen. Dafür bin ich eigentlich sehr sesshaft. Aber wenn man einmal in Berlin gelandet ist, kommt man ja schlecht weg. Denn hier ist schließlich doch der Mittelpunkt aller geistigen Bewegungen in ganz Deutschland“. In Berlin begeistern ihn die Schriften von Claudius und der von ihm eingeführte Begriff der Entropie. Die Thermodynamik wird zum Hauptforschungsgebiet von Planck.
Auf der Suche nach dem Absoluten
1894 wird er von der preußischen Akademie der Wissenschaften zum Mitglied gewählt. Planck wird schließlich über die Grenzen der Berliner Universität bekannt, als er 1900 das elementare Wirkungsquantum „h“ entdeckt. Es handelt sich dabei um eine Art universeller Maßstab in der Natur. Das Strahlungsgesetz, nach dem die Energie elektromagnetischer
Strahlen gequantelt ist, gehört zu seinen größten Leistungen.
Er verkündet das Gesetz am 19. Oktober 1900 und am 14. Dezember dessen theoretische Ableitung jeweils in einer Berliner Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Davon soll Planck seinem Sohn Erwin bei Spaziergängen im Grunewald erzählt haben. Dem damals Siebenjährigen gegenüber spricht der Vater von „einer der größten Entdeckungen seit Newton“. Obwohl Planck ein überaus bescheidener Mann ist, ist doch anzunehmen – heißt es in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ – dass Planck dem Sohn gegenüber das Superlativ gewählt haben wird, um dem Jungen zu erklären, was er herausgefunden hat. Die Leistung selbst erkennt damals noch niemand und auch Planck ist sich der Bedeutung zunächst nicht voll bewusst. Als schönste und höchste Forscheraufgabe erscheint ihm „die Suche nach dem Absoluten“. Trotz des Erfolgs hört Planck nicht auf den verlockenden Ruf nach Wien, wie er sagt „aus vaterländischen Gründen“. Ihm wird immens viel Ehre zuteil. So verleiht man Planck 1908 zum Beispiel den
Titel Geheimrat. Ihn verbindet mit Albert Einstein ein besonderes Verhältnis. Ebenso wie Planck wagt sich Einstein weit nach vorn. Als dieser 1905 seine zwei großen Arbeiten – die Lichtquantenhypothese und die Spezielle Relativitätstheorie – veröffentlicht, glaubt Planck noch, Einstein sei „über das Ziel hinausgeschossen.“ Später bezeichnet er die
Relativitätstheorie „als Krönung des Gebäudes der theoretischen Physik.“ Er, der auf die Vereinheitlichung des Systems der theoretischen Physik und deren Vereinfachung drängt und forscht, und Einstein werden Freunde. Glück und Tragik liegen in Plancks Leben stets dicht beieinander. 1909 stirbt seine Frau Marie an Lungenkrebs.
Zwei Jahre später heiratet Planck erneut. Diesmal Marga von Hösslin, eine Nichte seiner verstorbenen Frau. Sie schenkt ihrem Mann den Sohn Hermann. Nachdem Planck 1915 mit dem Pour-le-mérite für Wissenschaften und Künste – einem staatlichen Verdienstkreuz zurückgehend auf Friedrich II. – geehrt wird, fällt ein Jahr später Sohn Karl vor Verdun. Kaum davon erholt, ereilt die Plancks der nächste Schicksalsschlag. Die Zwillingstöchter Grete und Emma sterben 1917 und 1919 jeweils im Kindbett. Freund und Kollege Albert Einstein berichtet: „Planck hält sich für wunderbar tapfer und aufrecht, aber man sieht ihm den nagenden Kummer an.“ Just zu jener Zeit erhält der Physiker unendlich viele Gratulationen zum Nobelpreis. „In der Anerkennung der Dienstleistungen, die er zur Zuführung von Physik durch seine Entdeckung der Energiemengen übertrug“, lautet die Begründung. Die Übergabe erfolgt am 2. Juni 1920 in Stockholm bei der ersten Preisverleihung nach dem Krieg. Dort spricht Planck zum Thema „Entstehung und bisherige Entwicklung der Quantentheorie“. Wie revolutionär seine Entdeckung ist, zeigt sich erst in den Jahren 1925/26. „Freilich hat es erst eine Reihe von Jahren gedauert, bis die physikalische Welt von meiner Entdeckung Notiz nahm. Denn anfänglich war sie in weiten Kreisen unverstanden, wurde ignoriert, wie es bei solchen neueren Sachen sehr oft geht“, sagt Planck über jene Zeit, „aber ich ließ mich zu keinem Augenblick durch diesen Mangel an Anerkennung betrüben oder ängstigen, denn ich war mir meiner Sache allzu sicher, um an dem endgültigen Erfolg zu zweifeln. Ich konnte also in aller Gemütlichkeit der weiteren Entwicklung entgegen sehe. Das Genie ist erkannt
Der radikale Bruch mit alten Auffassungen beginnt, als die Quantentheorie von Niels Bohr und Werner Heisenberg vollendet wird. Man spricht vom „Umsturz im Weltbild der Physik“. Fast alle führenden Physiker beteiligen sich am Aufbau der Quantentheorie. Einer von ihnen ist der aus Wien stammende und später in die USA emigrierte Victor F. Weisskopf. Dieser überträgt die bekannten Worte Churchills über die Rolle der britischen Jagdflieger in der Luftschlacht um England 1940 im Rückblick auf die Quantenphysik und sagt: „Selten, vielleicht noch nie in der Geistesgeschichte, haben so wenig Leute, so viel in so kurzer Zeit erreicht.“ Die Quantentheorie kann als die wichtigste Gedankenschöpfung des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Planck sagt: sie „ist ein neuer Schritt auf dem Weg zur Naturerkenntnis.“ Er ist 1943 fest davon überzeugt, dass die Theorie noch längst nicht zum Abschluss gelangt ist. „Ich glaube, dass wir in unseren Begriffen noch manche Verallge-meinerung, manche Abstraktion vornehmen müssen, um zu einem ähnlich
befriedigenden Verständnis der Naturgesetze zu kommen, wie früher die klassische Theorie gewährt hat, die wir jetzt aufgeben mussten. Ich glaube, dass die Arbeit weiter, viel weiter laufen muss, ehe wir zu einem solchen Abschluss gelangen... Zum Abschluss, zum endgültigen, werden wir nie kommen. Das wissenschaftliche Arbeiten wird nie aufhören. Es wäre schlimm, wenn es aufhören würde. Denn wenn es keine Probleme mehr geben würde, dann würde man die Hände in den Schoß legen und es kommt zur Ruhe, man würde nicht mehr arbeiten. Und Ruhe ist Stillstand und Ruhe ist Tod in wissenschaftlicher Beziehung.“
Max Planck ist Ende der 1920er Jahre das anerkannte Oberhaupt der deutschen Physiker. Er repräsentiert die Berliner Universität, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und die Berliner Gelehrten- und Künstlerkreise. Akademien im In- und Ausland machen ihn zu ihrem Mitglied. 1928 stiftet die Deutsche Physikalische Gesellschaft die Max-Planck-Medaille. Im Alter von 72 Jahren zieht sich Max Planck von
seiner Lehrtätigkeit zurück und übernimmt die Präsidentschaft der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. In dieser Funktion setzt er sich 1933 bei Hitler persönlich für den Verbleib jüdischer Forscher ein, besonders für Albert Einstein und Fritz Haber. Vergeblich. Sie und viele andere verlassen Deutschland. 1936 wird Planck von seinem Amt als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft abgelöst. Trotz ausdrücklichen Verbots durch die Regierung arrangiert Planck zwei Jahre darauf eine Gedenkfeier zum Tode von Fritz Haber. Bei einem großen Empfang zu seinem 80. Geburtstag sagt Max Planck in der Ansprache: „Möge ein gütiges Geschick es fügen, dass Frankreich und Deutschland zusammenfinden, ehe es für Europa zu spät wird.“
Als die Stadt Frankfurt/Main 1943 den Goethe-Preis an Planck verleihen will, verweigert Reichspropagandaminister Goebbels sein Einverständnis mit der Begründung, „da Planck sich bis in die letzte Zeit hinein für den Juden Albert Einstein eingesetzt hat.“ Doch seine Geburtsstadt Kiel lässt sich nicht davon abhalten, ihrem Sohn 1944 die Würde eines Ehren-senators der Christina-Albertina-Universität zu verleihen. „Das Glück eines
Forschers“, sagt Planck einmal, „besteht nicht darin, die Wahrheit zu besitzen, sondern die Wahrheit zu erringen.“ Im Suchen liege die eigentliche Befriedigung.
Seine Freunde und Schüler schildern ihn als außerordentlich gütigen, wohlwollenden und verständnisvollen Menschen, dessen Bescheidenheit seine ganze Lebensführung prägt. Wenn Planck verreist, dann nie erster Klasse, für ihn reicht die 2. oder gar die 3. Klasse. Lise Meitner sagte über Planck: „Er war von einer seltenen Gesinnungsreinheit und innerlichen Geradlinigkeit, der seine äußere Einfachheit und Schlichtheit entsprach. Er war von edelmütiger Naivität und voller Ehrfurcht vor den wunderbaren Gesetzmäßigkeiten des Naturgeschehens, die er als fromme Ordnung empfand...“
Schönste Erholung ist für Planck das Bergsteigen. Sein Wunsch nach vollkommener Harmonie erfüllt sich für ihn vor allem in der Musik. Seinen Tag soll Planck streng eingeteilt haben. Berichtet wird von einer peinlich genauen Zeiteinteilung, einem geregelten Wechsel von Arbeit und Erholung. Völliges Ausspannen während mehrerer Ferienwochen gehört
immer dazu, unter anderem in Rogätz auf die Rittergut der Stills und bei der Kur in Amorbach im Odenwald. Dies bewahrt den großen Denker vor Überarbeitung und erhält ihm seine jugendliche Elastizität. Als markanteste Charaktereigenschaften werden immer wieder Freundlichkeit, Güte und Hilfsbereitschaft genannt. Lise Meitner: „Ich habe immer mit Bewunderung festgestellt, dass er nie etwas getan oder gesagt hat, weil es ihm nützlich oder schädlich hätte sein können. Was er für richtig erkannt hat, hat er durchgeführt, ohne Rücksicht auf die eigene Person.“
Planck – ein glühender Patriot
Wer war Max Planck? Diese Frage stellen sich Historiker immer wieder. War er Nationalsozialist oder Wissenschaftsfunktionär, war er ein heimlicher Widerständler oder ein unpolitischer Mensch? Im Rundfunk sagt Planck 1943: „In der gegenwärtigen Zeit darf sich ein Mann der reinen Wissenschaft nicht vermessen, bei den großen militärischen und politischen Entscheidungen, die für die Zukunft Deutschlands von ausschlaggebender Bedeutung sind, durch eigene Arbeit mitwirken zu wollen.“ Bewiesen ist, dass die Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft in der Nazizeit nicht fleckenlos rein geblieben ist. So hat der Historiker Jens-Christian Wagner herausgefunden, dass mindestens 1.000 Personen Zwangsarbeit für die Gesellschaft geleistet haben, dass medizinische und psychiatrische Untersuchungen zur Rassen- und Gesundheitspolitik stattfanden.
Bekannt ist Planck auch als glühender Patriot, der von einem starken Deutschland träumt. Vor dem Ersten Weltkrieg erfasst auch ihn wie so viele andere die Begeisterungswelle. Als der älteste Sohn Karl auf dem Schlachtfeld vor Verdun fällt, sagt Planck, Karl gehöre zu jenen, die „der Krieg gesund gemacht hat“. Selbstverständlich bekennt er sich auch zur Revision des Versailler Friedensvertrages. Und er setzt sich kurz nach Hitlers Machtantritt für die Forcierung der Rüstungsforschung ein, wie Recherchen des Historikers Helmut Maier belegen.
Anfang 1934 schreibt Planck der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften, dass die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft „welche schon seit längerer Zeit in enger Fühlungnahme mit der Heeresleitung und mit der Marineleitung zusammenarbeitet, ein lebhaftes Interesse an der Pflege und dem Ausbau der Wehrwissenschaften“ hege. Obwohl sich Planck dem Regime andient, schreibt Hans Rubinich, sei er kein Anhänger der braunen Ideologie gewesen. Vielmehr denke Planck nationalkonservativ und ist ständig bemüht, das Ansehen Deutschlands zu erhöhen. Dabei soll die Wissenschaft helfen. Genau das Gegenteil bewirkt jedoch der Rausschmiss hochkarätiger Forscher jüdischer Herkunft. Unter dem schweren Verlust leidet Max Planck. Er betrachtet die „Katastrophenzeit ... wie ein Naturereignis, ohne uns den Kopf darüber zu
zerbrechen, ob es nicht auch anders sein könnte.“ Die Nationalsozialisten gehen widersprüchlich mit ihm um, Ehrungen werden zum Teil verweigert, jedoch 1943 eine Rundfunkaufnahme gemacht, die uns heute als CD überliefert ist.
Bomben und Hinrichtung
Das Kriegsende trifft den betagten Max Planck und seine Frau schwer. Die Bombennächte in Berlin sind schrecklich für sie. Darum gehen sie Ende Oktober 1943 nach Rogätz. Mitte Februar 1944 wird ihr Haus völlig zerstört, alles Hab und Gut, vor allem die wertvolle mathematisch-physikalische Bibliothek und der Schriftverkehr werden ein Raub der Flammen. Heute ist bekannt, dass Plancks Villa im Grunewald und die Institute der Kaiser- Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem gezielt bombardiert wurden.
Die Amerikaner glaubten, Max Planck arbeite mit am sogenannten „Projekt Uran“ der Nazis, schreibt Thomas Powers in seinem Buch „Heisenbergs Krieg“. Planck aber ist in Wirklichkeit kaltgestellt, seit er sich für seine jüdischen Kollegen eingesetzt hat. Und so vermutet Planck, dass der Führer Rache an ihm nimmt, als nach dem Attentat im Juli 1944 sein 52 Jahre alter Sohn Erwin, Staatssekretär a. D., verhaftet und am 23. Januar 1945 hingerichtet wird. Das vierte von fünf Kindern und das einzig verbliebene aus erster Ehe ist tot. Mit diesem Sohn, wird berichtet, verbindet Planck ein besonders enges und vertrautes Verhältnis. Von seinem Tod erfährt er Ende Januar in Rogätz. Seine Schwieger-tochter Nelly, eine Ärztin, überbringt die schreckliche Nachricht persönlich. Übermannt vom großen Schmerz, setzt sich Max Planck ans Klavier und spielt die Lieblingsmelodien seines Sohnes. Am 28. März 1945 schreibt er einem Freund: „Sie trauen mir viel zu, wenn Sie die Meinung aussprechen, dass ich in mir die Kraft besitze, dem Schmerz nicht zu erliegen. Ich bemühe mich auch ernstlich, sie aufzubringen. Dabei kommt mir der Umstand zu Hilfe, was ich als eine Gnade des Himmels betrachte, dass mir von Kindheit an der feste durch nichts beirrbare Glaube an den Allmächtigen und Allgütigen tief im Innern wurzelt. Freilich sind seine Wege nicht unsere Wege; aber das Vertrauen auf ihn hilft uns durch die schwersten Prüfungen hindurch.“
„I know Max Schmeling ...“
Zu jener Zeit rücken die Alliierten immer näher. Der Krieg ist zurückgekehrt in das Land, aus dem er entsprungen ist. Auch am Flucht-ort Rogätz an der Elbe wird die Bedrohung greifbar. Als die Amerikaner schon ganz nahe sind, müssen alle Einwohner in den Wald fliehen. Dort begegnet Gertrud Ittner dem kleinen alten Mann. „Ich habe beobachtet, wie er sich die Hände wusch. Um sein Handgelenk war eine Handschelle und daran sein kleiner blauer Koffer befestigt.“ Nach der Einnahme von Rogätz am 13. April müssen die Menschen am 17. April noch einmal fliehen. Von östlicher Elbseite und von Norden aus Richtung Kehnert schießen deutsche Einheiten mit Granaten ins Dorf. Die Rogätzer werden evakuiert. Je nach Straßenzug, erinnert sich Hans Knoll: „Meine Mutter wurde mit den Plancks zusammen evakuiert, weil wir ja auch auf dem Gutshof wohnten. Sie wollte Planck behilflich sein und den blauen Koffer nehmen. ‚Nein, nein, also den Koffer nehme ich selber’, sagte Planck zu ihr. Den Koffer hat er nicht aus der Hand gegeben. Unser Komplex hier musste nach Born bei Haldensleben. Dort haben die Plancks wie alle anderen auf Heu und Stroh geschlafen. So viele Unterkünfte gab es ja in dem kleinen Ort gar nicht.“
Als der 88jährige Planck und seine Frau nach fast drei Wochen zurückkehren nach Rogätz ins Herrenhaus, haben es die Amerikaner zu ihrem Quartier gemacht. Die alten Leute werden aufgenommen von Melkermeister Zeh, der schräg gegenüber vom Rittergut ein kleines Haus bewohnt. „Und da haben sie bloß ein oder zwei Zimmer gehabt. Als dann Karl Friedel (Friedrich) Still, der Sohn vom alten Still, kam, hat er die armselige Unterkunft gesehen und alles mobilisiert, um die Plancks hier wegzukriegen“, sagt Hans Knoll.
Still fährt nach Wolmirstedt. „Als er zu den Amis in die Kommandantur kommt, haben die gesagt: ‚I know Max Schmeling, but not Max Planck. I never heard his name. ‘‚ Ich kenne
Max Schmeling, aber nicht Max Planck, den Namen habe ich nie gehört.’ Doch sie haben sich an die nächst höhere Kommandantur gewendet und dann ist das zugange gekommen.“
Zu einer Zeit, als in Deutschland nicht mal normaler Postverkehr möglich ist, wird nach Amerika telefoniert. Dort wird Professor Albert Einstein befragt und der handelt schnell. Eine amerikanische Kommission von Physikern und Offizieren fährt nach Rogätz. Mit dabei der Astrophysiker Gerard Peter Kuiper, Vater der modernen planetarischen Wissenschaft. Alle wissen, Rogätz wird eines Tages den Russen übergeben. Am 16. Mai 1945 stehen Kuiper und die anderen vor Max und Marga Planck. Innerhalb einer Stunde müssen beide ihre Sachen packen und Rogätz verlassen. Schon tags darauf übernehmen vorübergehend die Briten das Gebiet. Marga Planck ist furchtbar aufgeregt. Was soll sie einpacken, was
zurücklassen. Es geht zu Verwandten nach Göttingen.
Dort stirbt Max Planck am 4. Oktober 1947. Zuvor aber hat er die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wiederbegründet, die noch 1946 umbenannt wird in Max-Planck-Gesellschaft. Die westlichen Alliierten planten schon, sie ganz aufzulösen. Nur Max Planck und seinem Auftritt bei der Newton-Gedenkfeier im Juli 1946 in London ist es zu verdanken, dass der Plan nicht in die Tat umgesetzt wird.
Albert Einstein würdigt seinen Freund nach dessen Tod mit den Worten: „Wem es vergönnt war, der Menschheit einen großen schöpferischen Gedanken zu schenken, der hat es nicht nötig, von der Nachwelt gepriesen zu werden. Denn ihm war Höheres zuteil durch seine
eigene Tat...“ Seine „Erkenntnis hat die Entwicklung der Physik in unserem Jahrhundert eingeleitet und nahezu vollständig beherrscht. Ohne sie wäre die Aufstellung der brauchbaren Theorie der Atome und Molekeln sowie der ihre Umwandlung beherrschenden energetischen Vorgänge unmöglich gewesen... Indem sich die National Academy of Sciences vor diesem Mann verneigt, spricht sie die Hoffnung aus, dass die freie Forschung um der reinen Erkenntnis willen uns ungeschmälert erhalten
bleiben möge.“
Quellen:
„Max Planck – Wissenschaft und Leben“, supposé 2003 Köln
„Das Haus Still Recklinghausen“, Broschüre, „Heisenbergs Krieg“, Thomas Powers, Roman
„Zum 50. Todestag von Max Planck“, Universität Kiel, Auszug aus „300 Jahre Physik und
Astronomie an der Kieler Universität von Charlotte Schmidt-Schönbeck 1965
„Der Führer dankt“, Hans Rubinich
„Dem Gedächtnis Max Plancks“, The National Akademy of Sciences of the United States of America